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Instrumentalunterricht mit dementiell veränderten Menschen
Jeder Mensch hat das Recht auf Teilhabe an Bildung und an Kunst und Kultur – egal in welchem Alter und egal mit welchen körperlichen oder geistigen Einschränkungen. Gerade bei dementiell veränderten Menschen kann das gemeinsame Musizieren eine Steigerung der Lebensfreude bewirken, und früher gelernte Fähigkeiten auf einem Instrument können reaktiviert werden.

Instrumentallehrer, die sich für die besonderen Wirkungen des Musizierens bei Demenzerkrankten interessieren und Betroffene unterrichten wollen, wählen vielleicht ein bewährtes Lehrbuch für ihr Instrument und kommen nach der ersten Begegnung mit dem oder der Demenzerkrankten zu dem Ergebnis: „Das geht nicht!“
In diesem Projekt stellen wir exemplarisch den Instrumentalunterricht auf der Violine vor. Die Lehrbücher für den Anfängerunterricht auf der Geige beginnen in der Regel mit der korrekten Körper- und Bogenhaltung, erklären eine sinnvolle Bogeneinteilung und lehren erste Lieder mit wenigen Noten, zu denen die Lehrperson eine zweite Stimme spielt, um ein musikalisch interessantes Klangergebnis zu erhalten.
Dementiell veränderte Menschen werden aber Noten wahrscheinlich nicht verstehen und die gedruckten Zeichen nicht in eine Handlung auf dem Instrument umsetzen (LINK ZU DEMENZ folgt). Wenn sie früher schon einmal Geige gespielt haben, werden sie automatisch die Haltung und Bogenführung zeigen, die in ihrem Körpergedächtnis verankert ist. Jede Korrektur samt Erklärung würde sie womöglich verunsichern. Und ein zweistimmiges Spiel ist zunächst vielleicht nicht möglich, weil Demenzerkrankte sich sehr oft an ihre Bezugsperson anpassen und versuchen würden, in das Spiel der Lehrperson einzusteigen.
Wir brauchen also einen anderen Weg, wenn wir die positiven Wirkungen des Musizierens im Instrumentalunterricht mit Demenzerkrankten nutzen wollen.
Der andere Weg
Die Violinpädagogin Anke Feierabend hat in langjähriger Arbeit mit dementiell veränderten Menschen eine Unterrichtsmethode entwickelt, die die individuellen Fähigkeiten jedes Menschen nutzt und darauf aufbaut (LINK ZU ANKE FEIERABEND folgt).
Die Anke Feierabend-Methode® (AFM) funktioniert ganz ohne Noten und fördert im gemeinsamen Spiel Erinnerungen und Kreativität.
Auf diesen Internet-Seiten ist der Violinunterricht von Anke Feierabend mit einer an Demenz erkrankten Frau dokumentiert. In kurzen Filmsequenzen und Erläuterungen werden verschiedene methodische Aspekte und Besonderheiten von dementiell veränderten Menschen gezeigt. Obwohl jeder Schüler und jede Schülerin anders ist und einen individuell zugeschnittenen Unterricht benötigt, enthalten viele der hier dargestellten Situationen doch typische Elemente, die im Umgang mit dementiell veränderten Personen zu erwarten sind.
Ziel des Instrumentalunterrichts mit Demenzerkrankten ist es, den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu bieten, sich weiterzubilden und ästhetische Erfahrungen im gemeinsamen Spiel zu machen. Sie erleben Freude am gemeinsamen Musizieren und Momente von Glück und Zufriedenheit. Erfolg und Stolz stärken ihr Selbstwertgefühl und die so gewonnene Lebensfreude kann in den Alltag ausstrahlen.
Schüler-/Lehrer-Akquise
Instrumentalunterricht für demenziell veränderte Menschen wird bislang nicht explizit an den öffentlichen Bildungsinstitutionen angeboten. Viele Musikschulen sind aber offen für Schülerinnen und Schüler jeden Alters, so dass Unterricht mit älteren und körperlich und/oder geistig eingeschränkten Menschen grundsätzlich möglich sein sollte.
Die Erkenntnis, dass gemeinsames Musizieren und Lernen mit Demenz möglich ist und für betroffene Menschen die Lebensqualität verbessern kann, ist noch nicht sehr weit verbreitet. Daher gibt es bislang wenige Lehrkräfte an Musikschulen, die speziell für den Unterricht mit Demenzerkrankten weitergebildet sind – und wenn, dann auf Eigeninitiative. Gleichzeitig wenden sich bislang wenige Menschen an Musikschulen oder private Musiklehrkräfte mit dem Wunsch, Instrumentalunterricht für ihren demenzerkrankten Vater oder ihre Mutter zu buchen.
Wenn Sie als Angehörige oder Betreuungskraft von demenziell veränderten Menschen Instrumentalunterricht für eine dieser Personen wünschen, dann empfehlen wir zunächst den Kontakt mit der örtlichen Musikschule oder mit privaten Instrumentallehrkräften. Eine Übersicht über kommunale und private Musikschulen bietet das Deutsche Musikinformationszentrum MIZ. Vielleicht gibt es in Ihrer Nähe bereits Lehrkräfte, die sich entsprechend weitergebildet haben – zum Beispiel mithilfe dieser Internetseiten. Falls das noch nicht geschehen ist, dann ist Ihre Anfrage zumindest ein Beitrag dazu, dass sich bei Lehrkräften und Musikschulleitungen das Bewusstsein dafür entwickelt, dass sie ihr Bildungsangebot für alle Menschen – und eben auch für körperlich und/oder geistig einschränkte SchülerInnen öffnen sollten. Denn jeder Mensch hat das Recht auf Teilhabe an Bildung und Kultur.
Bei der Suche nach einer geeigneten Lehrkraft für Ihre konkrete Situation könnte die Deutsche Gesellschaft für Musikgeragogik mit ihrem deutschlandweiten Netzwerk von Musikgeragoginnen und Musikgeragogen hilfreich sein.
Darüber hinaus dürfen Sie sich gerne an die Akteure dieses Projektes wenden, vor allem an Anke Feierabend oder an Kerstin Jaunich.
Wenn Sie als Instrumentallehrer oder -lehrerin Menschen im fortgeschrittenen Alter unterrichten möchten, die eventuell an Demenz erkrankt sind, dann bieten sich verschiedene Möglichkeiten an, ihr Angebot publik zu machen, zum Beispiel:
– örtliche Musikschule informieren
– Anzeigen in der Tagespresse
– redaktionelle Berichte in der lokalen Presse über Ihr Bildungsangebot
– Informationsveranstaltungen in Seniorenheimen oder Angehörigen-Netzwerken
– Informationsfaltblätter, die Sie in Einrichtungen der Altenhilfe, Arztpraxen etc. auslegen
Bei dem hier dokumentierten Unterricht von Anke Feierabend mit Sigrid Schmidt stand ein Aufruf in der Tageszeitung am Anfang, verbunden mit Berichten in der lokalen Presse und in der Fachpresse über die Unterrichtsmethodik von Anke Feierabend und deren Chancen für die Lebensqualität von demenzerkrankten Menschen:
Auf den Aufruf meldete sich die Tochter von Sigrid Schmidt, die sich für das Projekt interessierte und sich vorstellen konnte, dass ihre Mutter, die in früheren Jahren leidenschaftlich Violine gespielt hatte, in ihrer jetzigen Situation der fortschreitenden Demenz von den Chancen des Unterrichts für ihre Lebensqualität profitieren könnte.
Obwohl im ursprünglichen Ansatz des Projektes vorgesehen war, dass mehrere Schülerinnen oder Schüler von Anke Feierabend unterrichtet werden sollten, beschloss das Projektteam, mit Sigrid Schmidt als einziger Schülerin zu starten. Als nach wenigen Wochen des Unterrichts klar wurde, dass es für die Darstellung der Methodik und deren Auswirkungen auf die Lebensqualität sinnvoller ist, sich auf dieses eine Fallbeispiel zu konzentrieren als es mit anderen zu vergleichen, wurde auf die Akquise weiterer Schülerinnen oder Schüler verzichtet.
Finanzierung
Während bei dem hier vorgestellten Unterricht das Honorar für die Instrumentallehrkraft Teil des Projektes „ReKuTe – Partizipative Wissenschaft für Region, Kultur und Technik“ war, bestehen für zukünftige Unterrichtssituationen folgende Finanzierungsmöglichkeiten:
a) als Teil des Angebots an Musikschulen für dort angestellte Instrumentallehrkräfte
b) als privater Instrumentalunterricht, bei dem die selbständige Lehrkraft in vollem Umfang direkt von den Schülerinnen und Schülern bzw. deren Angehörigen honoriert wird
c) über Förderprogramme zur kulturellen Teilhabe von Menschen mit Demenz (z. B. Bayerischer Demenzfonds)
Auch zu Fragen der Finanzierung dürfen Sie gerne Kontakt aufnehmen zu Anke Feierabend oder Kerstin Jaunich.